Gesamtansicht der Diskussionsrunde mit Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw und Martin Fuchs
Foto: DKJS/ Jörg Farys

Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw und Martin Fuchs diskutieren über die Chancen und Herausforderungen der Digitalisierung für die politische Meinungsbildung

Die Digitalisierung verändert unsere Gesellschaft rasend schnell und tiefgreifend. Auch Meinungsbildungsprozesse laufen mit der zunehmenden Nutzung digitaler Medien anders ab als noch vor wenigen Jahren. Wie verändern digitale Medien nun aber konkret die politische Kommunikation? Wie nutzen Menschen in Deutschland sie, um sich eine (politische) Meinung zu bilden? Und wie kann ein souveräner Umgang mit ihnen gelernt werden? Diesen Fragen wurde in der Diskussionsrunde meinungen.kontrovers: YouTube oder Tagesschau – Meinungsbildung in Zeiten der Digitalisierung mit dem Blogger und Politikberater Martin Fuchs und der Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Kleinen-von Königslöw nachgegangen.

In ihrem Input zu Beginn der Diskussionsrunde ging Prof. Dr. Kleinen-von Königslöw auf drei Felder ein, in denen sich aus ihrer Sicht Veränderungen in der politischen Kommunikation durch digitale Medien zeigen: Bei den Inhalten, bei der Art der Nutzung sowie bei den Strategien zur Auswahl von Informationen und der Bewertung ihrer Glaubwürdigkeit. Nachrichten würden in sozialen Netzwerken viel häufiger als sogenannte „Snack News“ präsentiert: Also als kurze Infotexte, oft unterstützt von audiovisuellen Inhalten, die gezielt Emotionen ansprechen. Weil Nachrichten von traditionellen Nachrichtenmedien (z.B. Tagesschau, ZEIT) dabei direkt neben denen von Satireseiten, politischen Akteuren und „Linkfabriken“ stehen und sie sich optisch oft kaum unterscheiden, sei es immer schwieriger herauszufiltern, welche tatsächlich seriös und glaubwürdig sind. Hinzukomme, dass mit dem Smartphone schwieriger sichtbar sei, wer der Autor der Nachricht ist und oft beiläufig durch die Nachrichten gescrollt würde, die Inhalte dabei weniger hinterfragt und automatisierter verarbeitet würden. In sozialen Netzwerken spiele zudem eine viel größere Rolle, was Freundinnen und Freunde sowie Bekannte empfehlen und lesen. Auch die Algorithmen sorgten dafür, dass eher Nachrichten angezeigt werden, die bereits gelesene Artikel bestätigen. Gleichzeitig böten soziale Netzwerke die Chance, dass auch Menschen in Kontakt mit Politik kommen, die das sonst nicht unbedingt tun würden, beispielsweise durch den Fokus auf audiovisuelle Inhalte und ein stärkerer Bezug auf die jeweilige persönliche Lebenswelt.

Auch Martin Fuchs, der zweite Gast in der Runde, betonte zunächst die Vorteile, die die digitalen Medien bei der politischen Meinungsbildung bieten. Noch nie sei es so einfach gewesen, an Informationen zu kommen und zum politischen Diskurs beizutragen, noch nie sei Politik so transparent gewesen. Zwar böte die Vielfalt an Informationen auch das Risiko, den Überblick zu verlieren, aber aktuell zeige sich, dass sich Qualitätsjournalismus durchsetzt. So informierten sich beispielsweise nur 2% aller Deutschen ausschließlich über Social Media. In Deutschland und auch den USA sei das Fernsehen weiter das wichtigste Medium für die Meinungsbildung. Und die Tagesschau sei aktuell die wichtigste Medienquelle bei Instagram. Dennoch sei es wichtig, verschiedene Herausforderungen im Blick zu behalten: So z.B. die Gefahr der Bildung von Meinungsblasen und dabei auch der Verlust einer Diskussionskultur, in der andere Meinungen ausgehalten werden. Außerdem wandere politische Kommunikation immer stärker in unsichtbare Bereiche ab, wie z.B. Messenger-Dienste („Messengerisierung“). Und schließlich gehe auch das gemeinsame „gesellschaftliche Wissen“ verloren, da sich alle über unterschiedliche Quellen informierten. Insgesamt sieht Herr Fuchs aber vor allem Potentiale in der digitalen Kommunikation.

Moderation: Julia Falck

 

Falck: Junge Menschen informieren sich selten allein (nur 2%) oder zuerst über soziale Medien zu Nachrichteninformationen. Wie ernst müssen wir den Einfluss von Social Media auf die Meinungsbildung junger Menschen nehmen?

Kleinen-von Königslöw: Wir sollten ihn ernst nehmen, aber nicht dramatisieren. Das Problem sind weniger einzelne Beiträge, die polarisieren oder Fake News verbreiten. Schwieriger finde ich, dass sich über die spezifische Struktur und Algorithmen von Social Media Meinungsblasen bilden können, woraus mittelfristig ein Vertrauensverlust in klassische Informationsmedien und in die Politik entstehen kann. In Deutschland haben wir jedoch den Luxus, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk hohen Qualitätsansprüchen folgt und auch weiterhin viel als Informationsquelle genutzt wird. Trotzdem muss der Journalismus umdenken.

Fuchs: Social Media bietet aber auch eine große Chance, gerade in der Bildung: Über Social Media können Beziehungen zu allen Menschen aufgebaut werden, auch zu denen, die kaum Vertrauen in das politische System haben. Daher sollte Social Media als Nachrichtenmedium unbedingt ernst genommen werden. Es ist das einzige Medium, das einen direkten Rücklaufkanal bietet. Wichtig ist dabei aber auch, dass die Online- und die Offline-Welt zusammenspielen und verknüpft werden.

Kleinen-von Königslöw: Weil Sie die Bildung ansprechen: Gerade für Pädagoginnen und Pädagogen ist es wichtig, sich mit der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen und damit auch mit Social Media auseinanderzusetzen. Wenn sie z.B. in der Schule damit konfrontiert werden, dass Wahrheiten in Frage gestellt werden, z.B. aufgrund von bestimmten YouTube-Videos, müssen sie wissen, wie sie damit umgehen können.

Frage aus dem Publikum: Öffentlich-rechtliche Nachrichtenangebote und Social Media können, wie Sie sagen, nicht gegenübergestellt werden: Auch öffentlich-rechtliche Medien sind auf Social Media vertreten. Trotzdem erreichen sie mit ihren Nachrichten nicht alle User. Wie kann garantiert werden, dass alle Nutzerinnen und Nutzer qualitativ hochwertige Angebote erreichen?

Fuchs: Dabei stellt sich zunächst die schwierige Frage, wie Qualität definiert wird. In einer Demokratie ist es sehr schwer vorzuschreiben, was konsumiert werden soll. Es existieren beispielsweise Angebote wie „Faktencheck“, die Falschmeldungen aufdecken und woraufhin bestimmte Algorithmen dafür sorgen, dass die Meldung weniger sichtbar ist. Noch wichtiger erscheint mir dabei aber die Vermittlung von Medienkompetenzen („Digital Literacy“). Und die Altersgruppe, die mir dabei vor allem Sorge macht, sind nicht die Jugendlichen, sondern die 40- bis 60-jährigen.

Meldung einer Schülerin: Ja, wir Jugendlichen haben oft mehr Medienkompetenz als ältere Menschen. Ab ca. 15 fängt man an, sich mit Nachrichten zu beschäftigen. Und mit 17 kann ich unterscheiden, was seriös ist und was nicht, was Fake News sind und was nicht.

Kleinen-von Königslöw: Ich würde Ihre Erfahrung generell auch bestätigen. Allerdings trifft es nicht auf alle jungen Leute zu, dass alle, die mit Smartphone aufgewachsen sind, Medienkompetenz haben. Das hängt auch stark mit dem Umfeld zusammen, in dem sie sozialisiert worden sind.

Frage aus dem Publikum: Ein zentrales Problem in den sozialen Medien sehe ich darin, dass die Interaktionsrate davon abhängt, wie stark die Beiträge Emotionen ansprechen. Wie kann mit dieser „Hyper-Emotionalisierung“ umgegangen werden? Braucht es einen Medienkompetenz-Führerschein? Wie kann man gerade auch die Gruppe der 40-60-jährigen in Medienkompetenz schulen?

Fuchs: Emotionen per se sind auch in Nachrichten erst einmal nichts Falsches. Wenn Menschen über Emotionen angesprochen und erreicht werden, ist das aus meiner Sicht gut. Ein Problem ist aber natürlich, dass oft Negativemotionen getriggert werden. Meine Erfahrung ist, dass Menschen besonders darauf anspringen, wenn Fehler gemacht und zugegeben werden, gerade, wenn das auch mal prominente Menschen tun. Meiner Meinung nach bräuchte es so etwas wie eine „Medienkompetenz-Kolumne“ in allen Medien, wo über Fehler und Falschmeldungen gesprochen wird und wo erklärt wird, wie z.B. Algorithmen und digitale Werbung funktionieren.

Frage aus dem Publikum: Wie geht man denn am besten mit Falschmeldungen und schlecht recherchierten Nachrichten um? Wenn ich darauf im Netz reagiere, verschaffe ich der Nachricht ja oft eine noch größere Reichweite.

Kleinen-von Königslöw: Sie haben Recht, das Teilen und Kommentieren der Meldung bringt sie an ein noch größeres Publikum, und oft bleibt dann eher die Falschmeldung hängen als die Aufklärung. Am besten ist es, in den direkten Dialog mit der Person zu gehen, also sie privat anzuschreiben oder im Analogen mit ihr darüber zu sprechen. Auch bei Qualitätsmedien, die ja auch mal Fehler machen, ist es für diese sehr hilfreich, wenn aufmerksame Leserinnen und Leser sie auf Fehler hinweisen.

Frage aus dem Publikum: Ich finde, es geht oft nicht um Falschmeldungen, sondern eher ums Framing. Wie kommen wir dahin, dass wir anerkennen, dass wir alle potenziell manipulierbar sind?

Kleinen-von Königslöw: Tatsächlich war hier die Wahl von Donald Trump sehr hilfreich. In Zusammenhang mit Trump wurde sehr viel über die politische Kommunikation in sozialen Medien gesprochen. Das Vertrauen in soziale Netzwerke als Nachrichtenquelle ist nach der US-Wahl und der anschließenden Diskussion auch in Deutschland stark eingebrochen.

Frage aus dem Publikum: Bei „Old-School-Medien“ gibt es online immer öfter Bezahlschranken bei qualitativ hochwertigen Berichten. Entsteht dadurch ein Informationsloch?

Kleinen-von Königslöw: Mir ist wichtig, klarzumachen, dass Journalismus Geld kostet. Mit der Digitalisierung ist die Finanzgrundlage für den Journalismus weitgehend weggebrochen. Daher ist mein Appell an Sie: Wenn Sie guten Journalismus wollen, müssen Sie bereit sein, dafür zu zahlen!

Fuchs: Diese Debatte kommt eigentlich 15 Jahre zu spät. Was wäre passiert, wenn gleich von Anfang an Bezahlschranken eingeführt worden wären, wäre das Zahlen dann heute selbstverständlich? Auch ich bin der Meinung, dass jeder, dem guter Journalismus und Demokratie wichtig sind, dafür Geld zahlen sollte. Gerade in den freien Medien besteht zwar der moralische und ethische Konsens, dass die wichtigsten Informationen, quasi die dpa-Meldungen, für alle frei zugänglich sein sollten, aber gut recherchierte Hintergrundartikel nicht unbedingt. Das Bezahlen sollte den Nutzerinnen und Nutzern aber erleichtert werden: Es bräuchte z.B. eine Plattform, wo man mit einem Klick für wenig Geld an Artikel von allen Verlagen käme und ein gemeinsames Micro-Paymentsystem, das für alle Qualitäts-Medienangebote verlagsübergreifend genutzt werden kann.

Frage aus dem Publikum: Als Jugendlicher hätte ich für einen Artikel nicht unbedingt 1€ bezahlt, um einen qualitativ hochwertigen Artikel lesen zu können, wenn ich daneben auch kostenlose Artikel finde. Wie kann trotzdem geschafft werden, dass sich Qualität durchsetzt?

Fuchs: Da haben Sie Recht, das ist für Jugendliche nicht selbstverständlich. Ich bin daher ein Freund von Modellen, wo Jugendliche z.B. Zeitungen kostenlos bekommen. So kann Vertrauen und eine Beziehung zu ihnen aufgebaut werden. Später kann man sie dann vielleicht als Abonnentinnen und Abonnenten gewinnen.

Frage eines Schülers: Wir sprechen hier oft über Qualitätsmedien. Wie erkennt man diese überhaupt? Auch bei der Tagesschau arbeiten ja z.B. Menschen, die Meinungen haben und diese auch verbreiten. Auch dort sind Artikel nicht immer rein sachlich. Wie kann ich also herausfinden, welche Medien seriös sind?

Kleinen-von Königslöw: Eine rein sachliche Berichterstattung ist nicht möglich. Allein die Entscheidung, über etwas zu berichten, ist schon eine persönliche Auswahl, die von der Einstellung und Haltung des Journalisten abhängt. Sachlichkeit kann nicht das Kriterium für seriösen Journalismus sein. Wichtig ist aber, dass das Persönliche, die subjektiven Meinungen und Beeinflussungen transparent gemacht werden. Seriöser Journalismus ist professioneller Journalismus, der sich an bestimmte festgelegte Richtlinien hält, wie z.B. daran, keine reinen Mutmaßungen zu verbreiten. Als Kontrollmechanismus dienen dabei häufig andere Journalisten: Der öffentlich-rechtliche Journalismus steht beispielsweise unter ständiger Beobachtung, nichts wird so stark überprüft wie die Tagesschau.

Frage aus dem Publikum: Was sagen Sie zum Thema Zukunft der Printmedien? Unser Lokalblatt in der Kleinstadt berichtet beispielsweise immer weniger über Veranstaltungen, da es längst nicht so zeitnah berichten kann, wie dies Onlinemedien machen können. Werden Printmedien also nur noch Hintergrundberichte abdecken können?

Fuchs: Aktualität ist an sich falsch platziert in der gedruckten Tageszeitung. Was Printmedien ausmacht, ist, dass die Leserinnen und Leser in Kontakt kommen mit Artikeln, die sie sich sonst vielleicht nicht aussuchen würden. Außerdem können sie eine erklärende, einordnende Funktion übernehmen. Ich finde es also gar nicht schlimm, wenn über Veranstaltungen lediglich online berichtet wird. Printmedien sollten sich fokussieren auf das, was sie gut leisten können – das Einordnen und Erklären – und sich vom Meldejournalismus abwenden. Ein gutes Beispiel hierfür ist die ZEIT: Sie widmet sich in langen Artikeln der Einordnung, es findet sich dort keinerlei Snack-Journalismus. Mit dieser Strategie wächst sie jedes Jahr und findet immer mehr Abonnentinnen und Abonnenten.

Kleinen-von Königslöw: Im internationalen Vergleich kommen wir in Deutschland von einem tollen Ausgangspunkt: In kaum einem anderen Land finden sich so viel gute Lokalzeitungen. Dennoch braucht der Lokaljournalismus neue Strategien und Geschäftsmodelle, um zu überleben: Vielleicht gibt es nur noch eine Redaktion, die sich Lokalem widmet. Aber diese hat durchaus auch weiterhin ihre Berechtigung: Sie ist wichtig, um über die lokale Politik zu berichten und sie kritisch zu hinterfragen. Ich bin daher verhalten optimistisch, was den Lokaljournalismus angeht.

Frage aus dem Publikum: Inwiefern könnte die Wissenschaft eine größere Rolle einnehmen im Feld der Medienkompetenzvermittlung im Netz, bzw. findet das bereits statt?

Kleinen-von Königslöw: Die Wissenschaft muss meiner Meinung nach unbedingt in die Gesellschaft hineinwirken. Das passiert auch mehr und mehr und besser als früher. Deshalb nehmen wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch an Veranstaltungen wie der heutigen teil. Das Problem ist aber, dass wir diese Aufgabe zusätzlich zu unseren bisherigen Aufgaben übernehmen müssen, und uns die Zeit und Unterstützung dafür fehlt, insbesondere, wenn es mal kritisch wird und es z.B. zu Hasskommentaren oder Verleumdung im Netz kommt. Hier kann es definitiv noch Verbesserungen geben. An der Uni Hamburg z.B. versteht die Öffentlichkeitsabteilung die Online-Kommunikation und die Unterstützung der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dabei als Teil ihrer Aufgaben.

Falck: Was denken Sie, was wird nach Snapchat und Instagram der nächste große Erfolg im Netz?

Fuchs: Ich bin ein großer Fan von lokalen Nachbarschaftsplattformen wie nebenan.de. Ich denke, die werden zukünftig immer mehr Erfolg haben.

Kleinen-von Königslow: Da würde ich auch gerne eine Lanze für brechen. Außerdem alles, was auf Audiovisuelles setzt.

 

Was bedeutet nun also zusammengefasst die Digitalisierung für den Prozess der politischen Meinungsbildung? Die Diskutierenden aus dem Publikum und die beiden Podiumsgäste sind sich einig, dass sie sowohl Chancen als auch Risiken mit sich bringt. Über soziale Netzwerke und mit audiovisuellen Inhalten lässt sich eine viel breitere Gesellschaftsschicht erreichen als bislang mit den klassischen Medien, potenziell kann jede und jeder zum Produzierenden werden und es herrscht ein regerer politischer Austausch. Die Vielzahl an Informationen ist jedoch schwierig zu verarbeiten und falsche oder schlecht recherchierte Nachrichten sind oft nicht sofort erkennbar. Es braucht daher Medienkompetenz, insbesondere auch in der Gruppe der 40- bis 60-jährigen. Doch auch die klassischen Medien werden für die politische Meinungsbildung weiter bedeutsam bleiben. Sie können vor allem eine erklärende, einordnende Funktion übernehmen.