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„Ein Vorbild für andere sein“

Kinderparlament in Erkrath, 8. Dezember 2020:

Miteinander zu diskutieren – das kann man lernen. Das wird bei der Demokratiewerkstatt in Erkrath deutlich. Die Kinder und Jugendlichen, die dort teilnehmen, haben alle bereits Erfahrungen im Kinderparlament der nordrhein-westfälischen Stadt gesammelt, und das merkt man. Sie berichten, wie es ihnen in der Corona-Krise geht. Viele von ihnen sind gelangweilt, weil ihre Hobbys und Aktivitäten nicht mehr möglich sind: Basketball-Training, Tanzen oder Treffen der Pfadfinderinnen und Pfadfinder fallen aus. „Ich bin froh, dass wir noch zur Schule gehen können. Das ist etwas Abwechslung“, sagt ein 9-Jähriger. Einige der Kinder sind traurig, weil sie sich nicht mehr mit ihren Freundinnen und Freunden treffen können, aber auch verunsichert, weil alltägliche Gewohnheiten weggefallen sind und es gar nicht so einfach ist, sich in Corona-Zeiten immer richtig zu verhalten – schließlich werden die Regeln immer wieder geändert. An einer Schule müssen sie jetzt zum Beispiel, wenn sie auf dem Pausenhof etwas essen und dafür die Maske runterziehen, auf Abstand zu den Anderen gehen. „Wer das vergisst, bekommt eine Verwarnung“, erzählt ein Mädchen.

Die Kinder beschäftigen Fragen wie etwa, warum es keine Maskenpflicht im Sportunterricht gibt. Aber sie sind gut informiert und bringen sich in die Diskussion ein. Das sei nämlich so, erklärt ein Mädchen den anderen. „Jede Schule kann selbst entscheiden, welche Regeln beim Sport gelten.

Während der Demokratiewerkstatt notieren die Kinder und Jugendlichen, welche Gefühle die aktuelle Situation in ihnen auslöst und welche Erfahrungen die Kinder mit Corona gemacht haben, die schlechten ebenso wie die guten. Ein 11-Jähriger erzählt, wie er einen neuen Lieblingssport gefunden hat: Fahrradfahren im Gelände. „Mein Freunde und ich sind jeden Tag draußen. Meine Technik hat sich schon sehr verbessert.“ Im Sommer seien sie mit dem Rad einfach mal weiter gefahren als sonst und haben neue Gegenden entdeckt. „Wir haben uns etwas bei McDonalds gekauft und an einen Feldrand gesetzt. Das war schön.“ Möglich war dieser Ausflug auch, weil sie alle durch Corona mehr Zeit haben.

Ich bin böse auf die Leute, die sagen, ‚das ist doch alles Quatsch’, ‚das ist doch gar nicht gefährlich’. Die Zahlen steigen und die anderen kriegen es ab.

Sehr deutlich wird auch, wie ernst die Kinder den Virus nehmen: Manche von ihnen haben Angst – vor einer abstrakten Gefahr durch den unberechenbaren Virus, aber auch ganz konkret um die Großeltern oder Verwandten mit einer Vorerkrankung. Umso unverständlicher ist ihnen, dass viele Menschen die Maßnahmen für überzogen halten. „Ich bin böse auf die Leute, die sagen, ‚das ist doch alles Quatsch’, ‚das ist doch gar nicht gefährlich’. Die Zahlen steigen und die anderen kriegen es ab“, sagt eine 11-Jährige. Egal, ob es Erwachsene oder andere Kinder in der Schule sind: „Es nervt, wenn die Leute sich nicht an die Regeln halten und keine Maske tragen.

Auch im „philosophischen Gespräch“, dem Hauptteil der Demokratiewerkstatt, geht es dann um die Corona-Maßnahmen. Miteinander zu philosophieren, erklärt die Moderatorin Tina Fremuth, das bedeute, gemeinsam über eine Frage nachzudenken und sich darüber zu unterhalten. Für eine philosophische Frage gebe es nicht einfach eine Antwort, die man googeln könnte, sondern es seien viele Antworten möglich. Genau so funktioniert auch eine Demokratie. Man diskutiert zu einer Frage, hört verschiedene Meinungen und findet einen gemeinsamen Konsens. An diesem Tag geht es um die Frage: „Was macht eine Krise mit einer Gesellschaft und mit uns?“ Schnell kommen den Kindern Ideen: „Viele Unternehmen sind in der Krise!“, „In der Krise gibt es Probleme, die man nicht so schnell lösen kann.“ Oder auch: „Man sagt, ‚ich krieg’ne Krise’. Dann hat man sich nicht mehr unter Kontrolle. Das ist bei Corona ja auch so.“ Sich nicht mehr unter Kontrolle haben – darauf gehen die anderen Kinder schnell ein, das kennen sie: etwa wenn sie sich mit einer Freundin oder einem Freund streiten oder wenn etwas in ihrer Miniaturlandschaft umkippt, „dann raste ich aus“, erzählt ein Junge. „Auch der Virus ist außer Kontrolle geraten“, meint jemand – beim Thema „außer Kontrolle“ fällt allen etwas ein. In dem Gespräch gelingt es, dass fast alle Kinder sich beteiligen, auch die jüngeren. Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten. Die Kinder fühlen sich ernst genommen, Geschwister oder die Schule sind ebenso wichtig wie die Bundesregierung. Außerdem hören sich die Kinder gegenseitig aufmerksam zu und sie gehen darauf ein, was die anderen sagen, ohne sich anzugreifen.

Die Moderatorin greift das Stichwort Kontrolle schließlich auf. „Und was macht es mit uns, wenn alles von außen bestimmt wird und wir keine Kontrolle mehr haben?“, fragt sie in die Runde. „Manche Leute fühlen sich durch die Maßnahmen gezwungen“, meint ein Mädchen. „Sie sagen, ‚wir leben in einem freien Land und möchten Freiheiten haben.´ Das kann man ja auch verstehen.“ Doch die Kinder sind sich einig: Keine Maske tragen, das geht gar nicht.

Aber wie kann man damit umgehen, dass manche sich nicht an die Regeln halten?“, will die Moderatorin wissen. Manche der Kinder setzen auf eine bessere Aufklärung und auf Rücksichtnahme: „Man muss denen das mal erklären: Wenn ihr das nicht wollt, dann macht das für euch, aber schützt die anderen.“ Andere meinen dagegen: „Die Regierung müsste ein heftiges Bußgeld dafür einführen.

Ein Junge schlägt vor, ein gutes Vorbild zu sein: „Man könnte für sich selbst entscheiden, auch dann eine Maske zu tragen, wenn man nicht muss. Einfach weil es sicherer ist.“ Getragen von dem Gespräch, kommen den Kindern immer mehr Ideen. Stück für Stück wird ihnen bewusst, welche Möglichkeiten sie haben, aktiv zu werden. „Man kann die Leute freundlich darauf hinweisen, dass sie eine Maske aufsetzen müssen“, sagt ein Junge. Ein anderer meint, man könne die Leute einfach fragen, warum sie keine tragen. Und ein Mädchen sagt: „Man kann die Regeln strenger machen, aber der Zusammenhalt ist am wichtigsten.

Angst macht unsicher, das ist dann auch nicht gut. Vielleicht muss man erklären, wir sind eine Gemeinschaft und wir müssen gemeinsam dagegen kämpfen.

Die Moderatorin Tina Fremuth hakt nach: „Aber wie geht das, Zusammenhalt zu schaffen?“ Die Kinder müssen einen Moment nachdenken. Ein 11-Jähriger ist sich sicher: „Nicht durch Strafen. Die Belohnung am Ende ist viel wichtiger, dass du wieder ins Geschäft gehen kannst, dass du ohne negativen Test in den Urlaub fahren kannst. Die Belohnung ist möglich, aber dazu musst du die Maske tragen.“ Ein Mädchen pflichtet ihm bei: „Angst macht unsicher, das ist dann auch nicht gut. Vielleicht muss man erklären, wir sind eine Gemeinschaft und wir müssen gemeinsam dagegen kämpfen.“ Eine 9-Jährige erzählt von ihren Erfahrungen: „Wir haben in der Schule richtig mit den Leuten geredet, und die haben das dann auch verstanden. Wenn du die Leute besser kennst, kannst du mit ihnen reden, aber ohne sie zu beschimpfen.

Am Ende, in der Abschlussrunde, wird deutlich, wie viel Mut und vor allem Motivation die Kinder in dem philosophischen Gespräch geschöpft haben. Sie wirken gestärkt und voller Tatendrang. Einige sagen, dass sie künftig Leute darauf ansprechen werden, die keine Maske tragen. „Ich werde versuchen, ihnen zu erklären, dass es nicht nur sie selbst schützt, sondern auch andere.“ Ein Mädchen nimmt sich vor, sich an die Regeln zu halten und trotzdem immer gute Laune zu haben. Und mehrere wollen ihren Freundinnen und Freunden, der Klasse und ihren Familien vom Workshop erzählen: „damit sie wieder ein bisschen mehr Mut bekommen“, wie ein Mädchen sagt und „damit sich die guten Ideen rumsprechen“, wie ein anderes meint.

Graphic Recording zur Demokratiewerkstatt:

 

Text: Wibke Bergemann