7. Oktober 2021
Was braucht gute Demokratiebildung?
Diese Frage diskutierten wir mit allen Interessierten am 7. Oktober 2021 im Rahmen des Dialogforums – und tauschten uns auf diese Weise über gute kooperative Demokratiebildung für Jugendliche aus. Mit der Veranstaltung gaben wir allen Interessierten einen Einblick in die Arbeit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) im Rahmen des Kompetenznetzwerks „Demokratiebildung im Jugendalter“ und ermöglichten eine aktive Mitgestaltung bei der Entwicklung von Qualitätskriterien kooperativer Demokratiebildung.
Diskussionsgrundlage für den partizipativen Austausch war die Vorstellung einer wissenschaftlichen Begleitung, die Jugendliche nach ihrer Perspektive auf gute Demokratiebildung befragt. Im Anschluss diskutierten alle Teilnehmer:innen in den Qualitätswerkstätten die Ergebnisse der Studie entlang ausgewählter Qualitätskriterien. Diese Kleingruppen starteten ihre Arbeit jeweils mit Impulsvorträgen von Expert:innen. Den Abschluss des Dialogforums bildete eine Keynote.
Das Dialogforum richtete sich an Fach-, Lehr- und Leitungskräfte aus der schulischen und außerschulischen Demokratiebildung.
Im Rahmen des Kompetenznetzwerks „Demokratiebildung im Jugendalter“ entwickelt die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) bis Ende 2024 Qualitätskriterien kooperativer Demokratiebildung in einem partizipativen Ansatz. Welcher Prozess konkret hinter den Qualitätskriterien steckt, erfahren Sie hier.
Dokumentation
1. Start und Begrüßung: Anne Rolvering, DKJS
Anne Rolvering, Vorsitzende der Geschäftsführung der DKJS, begrüßt die Teilnehmer:innen zum „Dialogforum | Was braucht gute Demokratiebildung?“.
2. Vorstellung: Entwicklung von Qualitätskriterien kooperativer Demokratiebildung
Die DKJS entwickelt im Kompetenznetzwerk „Demokratiebildung im Jugendalter“ mit Jugendlichen, der schulischen und außerschulischen Praxis sowie Vertreter:innen aus Politik und Wissenschaft Qualitätskriterien für kooperative Demokratiebildung im Jugendalter. Die Ergebnisse bereiten wir praxisorientiert auf. Im Anschluss übertragen wir sie in die bundesweite Demokratiebildung und deren Regelstrukturen.
Wissenschaftliche Recherchen bestätigen, dass die bisher veröffentlichten Qualitätsbeschreibungen für kooperative Demokratiebildungsprojekte nicht umfassend genug sind. Hier fehlt es u.a. an zielgruppenspezifisch aufbereiteten Handreichungen, aber auch die Perspektiven der Praktiker:innen und insbesondere der Jugendlichen werden in den bisherigen Veröffentlichungen und Debatten um qualitätsvolle Demokratiebildung wenig betrachtet. Diese fehlenden Perspektiven sind jedoch notwendig, damit die Angebote der Demokratiebildung attraktiver, nachhaltiger, anschlussfähiger und transferierbar werden.
Aus diesem Grund entwickeln wir die Qualitätskriterien gemeinsam mit allen relevanten Zielgruppen durch einen Praxis-Theorie-Transfer: den Jugendlichen, der schulischen und außerschulischen Praxis sowie Vertreter:innen aus Politik und Wissenschaft. Ein Teil dieser Zielgruppen sind die Projektverbünde aus dem Landesprogramm OPENION – Bildung für eine starke Demokratie in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Diese Projektverbünde bestehen jeweils aus eine:r schulischen und außerschulischen Partner:in.
Ziel ist die Entwicklung eines Selbstchecks als praxisnahes Tool für Demokratiebildner:innen, das als Arbeitshilfe dient und Entwicklungsperspektiven in verschiedenen Qualitätsfeldern von kooperativen Demokratiebildungsprojekten aufzeigt. Gemeinsam mit Jugendlichen und erwachsenen Begleitpersonen aus der Praxis, der Fachöffentlichkeit, der Wissenschaft und der Politik sammelt, entwickelt, diskutiert und testet die DKJS Arbeitsmaterialien (Podcasts, gute Beispiele, Publikationen, Unterrichtsentwürfe, Reflexionsfragen, Leitfäden, Expert:innen-Interviews etc.), die den jeweiligen Qualitätsfeldern zugeordnet sind. Mit diesem Tool unterstützt die DKJS Demokratiebildner:innen dabei, ihre Demokratiebildungsprojekte jugendorientiert umzusetzen, ihre Rahmenbedingungen bestmöglich zu nutzen und somit die Potenziale der Kooperation prozess- und kontextorientiert auszuschöpfen.
Der Entwicklungsprozess der Qualitätskriterien umfasst unterschiedliche zielgruppenspezifische Beteiligungsformate. Informationen zu den jeweiligen Akteur:innen und deren Beteiligungsformaten sowie regelmäßige Zwischenergebnisse finden Sie hier:
Jugendliche: Demokratiewerkstätten, Jugendbarcamp, wissenschaftliche Erhebung
Praxis: OPENION-Netzwerktreffen, Dialogforum
Politik: Länderforum
Wissenschaft: Fachforum, wissenschaftliche Begleitung
Der Entwicklungsprozess der Qualitätskriterien unterteilt sich in sechs Phasen:
Vorbereitungsphase: In dieser Phase erarbeiten wir die fachlichen Grundlagen und Fragen für den Prozess und organisieren die Auftakttreffen mit dem Fachforum und den beteiligten Ländern.
Erhebungsphase: In der Erhebungsphase arbeiten wir in den entsprechenden Beteiligungsformaten eng mit den Jugendlichen und den Ländern aus der Praxis zusammen, diskutieren und erarbeiten die Qualitätsfelder bzw. Qualitätskriterien.
Entwicklungsphase: In der Entwicklungsphase finalisieren wir die Qualitätsfelder und Qualitätskriterien.
Ergebnisaufbereitungsphase: In dieser Phase bereiten wir die erarbeiteten Ergebnisse praxisorientiert als Arbeitshilfe auf.
Testphase: In dieser Phase testen wir unsere aufbereiteten Inhalte bzw. Arbeitsmaterialien und beteiligen dabei die Jugendlichen und die Länder.
Transferphase: Am Ende des Prozesses transferieren wir unsere Ergebnisse und die interaktive Arbeitshilfe in die Regelstrukturen der Länder.
3. Präsentation und Diskussion: Perspektive Jugendlicher auf gute Demokratiebildung
Diskussionsgrundlage für den partizipativen Austausch war die Vorstellung einer wissenschaftlichen Begleitung, die Jugendliche nach ihrer Perspektive auf gute Demokratiebildung befragt. Prof. Dr. Silvia-Iris Beutel und Prof. Dr. Markus Gloe präsentierten und diskutierten die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Begleitung, die sie gemeinsam mit Prof. Dr. Sören Torrau entwickelten.
Präsentation:
Hinweis: Die ausführlichen Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung werden in den kommenden Wochen auf openion.de veröffentlicht.
4. Qualitätswerkstätten: Kriterien für eine gute Demokratiebildung
In den Qualitätswerkstätten diskutierten die Teilnehmer:innen die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung entlang ausgewählter Qualitätskriterien. Diese Kleingruppen starteten ihre Arbeit jeweils mit Impulsvorträgen von Expert:innen.
Reflexion des eigenen Demokratie- und Beteiligungsverständnisses
- politische Bildung und Partizipation bedingen sich, zugleich ist politische Bildung mehr als Partizipation
- lebensweltorientierte Demokratiebildung braucht ein weites Politikverständnis
- außerschulische Demokratiebildungsangebote machen Themen von Jugendlichen sichtbar und bringen diese aktiv in die jugendpolitische Debatte ein
- außerschulische Bildungsangebote müssen ihre eigenen Gestaltungsprinzipien und Qualitätsstandards in die Kooperation mit Schulen einbringen können, um gute Demokratiebildung leisten zu können
- Demokratiebildung findet an vielen Lernorten statt und braucht insbesondere auch den außerschulischen Lernort
- Öffnung gegenüber Vielseitigkeit an möglichen außerschulischen Räumen, Orten und Formen der Demokratiebildung
- Prüfung der eigenen Privilegien und Barrieren und Versuch alle zu erreichen
- Reflexion und Einigung über authentische, eigene Haltung als Demokratiebildner:in sowie ein breites Demokratieverständnis
- Sensibilität gegenüber der Entwicklung von Schüler:innen und Möglichkeiten, demokratisches Handel verbindlich einzuüben
- Rolle und Funktion außerschulischer Akteur:innen und die Partizipation von Jugendlichen
Demokratiekompetenzen und Werte
- Kompetenzen der Lernbegleiter:innen bilden Voraussetzung für Kompetenzen der Lernenden
- Demokratiekompetenzen hängen vom jeweiligen Demokratiekonzept ab
- nur durch Reflexion können Demokratiekompetenzen erworben werden
- demokratische Haltung, in der Werte zum Ausdruck kommen, muss immer wieder neu erworben werden – sowohl bei den Lernbegleiter:innen als auch den Lernenden
- Bedeutung und Energie schulinterner Initiativen und Zusammenschlüsse von interessierten und engagierten Kerngruppen, welche kooperative und demokratiebildende Prozesse in die eigene Hand nehmen
- U18-Wahlen als geeignetes Projekt zur Beteiligung, Übung und Sichtbarkeit oder alternativer Formate, die partizipativ sind und Handlungsmöglichkeiten für Jugendliche bieten
- enger Zusammenhang zwischen eigenen Demokratiekompetenzen mit eigenem Konzept und Verständnis von Demokratie
- es braucht Aktivitäten und Beispiele der Demokratiebildung, die niedrigschwellig, spaßig und echt sind und zugleich eine positive Erzählung über Demokratie enthalten
Kooperations- und Projektmanagement
- gute Kooperationsstrukturen und gutes Projektmanagement tragen zur Qualität der Angebote bei
- Prozess der Aushandlung von Kooperationsstrukturen und -vereinbarungen trägt zur Auseinandersetzung mit pädagogischen Ansätzen/Fragen bei
- gelebte Kooperation ist (vor-)gelebte Demokratie.
- Verständnis für die Arbeitsprozesse von Schulen und gleichzeitig Bedarf an Entwicklung einer demokratischen und kooperativen Schulkultur von der Leitung bis zum Kollegium
- eine ausführliche und großzügig bemessene Planungsphase ist wichtig, damit Partner:innen sich über Ziele und Absichten, verschiedene Stärken und Bedarfe, gemeinsame Wirkung, eigene Handlungsräume u.v.m. einigen oder aber unterschiedliche Ansichten klarstellen können
- Herstellung einer langfristigen und nachhaltigen Kooperation sowie eine breite Vernetzung durch Einbindung aller geeigneten Kontaktpersonen im schulischen und außerschulischen Bereich, z.B. auch Schüler:innenmitwirkungsvertretungen oder die Schulsozialarbeit
Lebensweltorientierung
- lebensweltorientierte Demokratiebildung heißt gesellschaftspolitische Entwicklungen anhand der Erfahrungen, Lebensthemen und Anliegen junger Menschen zu thematisieren
- gute Demokratiebildung zielt auf das Wahrnehmen eigener Teilhabe- und Partizipationsrechte bezogen auf die individuelle Lebenswelt sowie auf die Gesellschaft
- Zugänge zu Angeboten der Demokratiebildung und Artikulationsmöglichkeiten sollten den individuellen Voraussetzungen und Interessen junger Menschen entsprechen
- Angebote sollten auf die differenzierte Lebenssituation von Jugendlichen eingehen und an deren Ressourcen ansetzen
- Kooperationen eröffnen Zugänge zu lebensweltorientierter Demokratiebildung für alle jungen Menschen, hierfür sind Konzepte und neue Formate zu entwickeln bzw. in die Breite zu tragen
- Zugänge der Demokratiebildung sollten sich an den Jugendlichen orientieren: Wo stehen die Jugendlichen gerade, was brauchen sie, was interessiert sie? Wo treffen sich die Jugendlichen, wo sind sie erreichbar?
- Gestaltung des Projektes kann bereits in Planung offen gehalten werden, um hier Jugendliche zu beteiligen; diese sollten ihre aktuellen Themen und Interessen einbringen und auch z.B. die Methode wählen können
- wichtig ist, dass Demokratiebildung in die Lebenswelt der Jugendlichen eingebettet ist und diese nachhaltig prägt, Jugendliche sollten echte und relevante Selbstwirksamkeitserfahrungen machen
- Erwachsene sollten offen, flexibel und geschult sein immer wieder neu auf die Jugendlichen einzugehen, ihnen „auf Augenhöhe“ zu begegnen
Lernumfeld
- das Lernumfeld für gute Demokratiebildung bildet eine Demokratie ab, unser Schulsystem macht das nicht
- um Demokratie zu lernen, muss man Demokratie erfahren; geht mit gegenwärtigen Bildungsverständnis des Schulsystems nicht
- damit wir Demokratie erfahrbar machen, brauchen wir ein demokratisches Umfeld
- Schulen sollten demokratische Mikrogesellschaften sein
- Lernumfeld für gute Demokratiebildung bildet eine Demokratie ab, gute Demokratiebildung braucht demokratische(re) Schulen
- Schulen brauchen die Schulleitung und das Kollegium, welche zusammen Demokratiebildung als ihre Aufgabe verstehen und entsprechende Projekte fördern, aber auch versuchen, im Raum und System Schule demokratische Prozesse zu stärken
- schulinterner Konsens bzw. geteiltes Verständnis von Demokratie und Demokratiebildung sowie ein Vertrauen in die Stärken und Fähigkeiten der Jugendlichen
- Schulen brauchen freie Kapazitäten, d.h. Planungs- und Gestaltungsräume die sie dann nutzen können – diese müssen einem Schulsystem auch eingeräumt werden
- Demokratiebildung soll fair und an allen Schulformen und für alle Jugendlichen gewährleistet werden
5. Gesprächsrunde
An der Gesprächsrunde nahmen Marie Lucas (BMFSFJ), Christoph Anders (Deutsche Kinder- und Jugendstiftung), Julia Schad-Heim (IN VIA Deutschland e.V. / Bundesarbeitsgemeinschaft Kath. Jugendsozialarbeit) und Martin Truckses (Lehrer an der Freien Demokratischen Schule Kapriole in Freiburg) teil. Sie diskutierten über die Themen der Qualitätswerkstätten und zu strategischen Perspektiven auf die Demokratiebildung, die Zuschauer:innen hatten die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Dabei wurde die Vertreterin des BMFSFJ gefragt, was für sie Qualität in der Demokratiebildung ausmacht und welche Rolle Politik dabei spielt. Auch gelungene Transferbeispiele und die Frage, was außerschulische Akteur:innen brauchen, um in der Demokratiebildung mit Schulen mehr und besser zu kooperieren, waren Inhalte der Gesprächsrunde.
6. Keynote: „Warum handeln lernen? Was gute Demokratiebildung braucht.“
Die Beteiligungspädagogin Marina Weisband widmet sich in ihrer Keynote der Frage „Warum handeln lernen?“ und erläutert, was gute Demokratiebildung braucht.
Kontakt
Bei Rückfragen und Anregungen zur Veranstaltung wenden Sie sich gern an unseren Programmmitarbeiter Maximilian Lorenz: maximilian.lorenz@dkjs.de.