von Kathleen Fietz

An einem Sonntagvormittag in Berlin: Da hilft es auch nichts, noch eine weitere Flasche Club-Mate zu trinken, es war einfach viel zu wenig Schlaf in den letzten zwei Nächten. Der dreitägige Hackathon macht seinem Namen – einer Wortkreation aus „Hack“ und „Marathon“ – alle Ehre, denn viele der 120 jungen Programmierer aus ganz Deutschland haben kaum Pause gemacht und bis morgens um 5 Uhr getüftelt, Codes geschrieben und Webseiten designt. Doch der wenige Schlaf ist jetzt vergessen, denn nun heißt es, ihre Erfindungen vor rund 200 Zuschauern zu präsentieren. Und dabei steigt das dazugehörende Adrenalin ordentlich. Auf der Bühne stellen die Arbeitsgruppen nacheinander ihre etwa 40 Projekte vor. Diese tragen Namen wie vibraboots, sigma news und trashbot, und sie alle erfüllen eine Mission: Sie sollen die Welt zu einer besseren machen. Hier geht es nicht ums Programmieren und Erfinden allein, sondern um eine bestimmte Haltung dazu: Wie kann ich damit Gutes tun?

Von vibrierenden Schuhen bis Fake-News-Erkennungsprogrammen

Dafür haben sich die code-begeisterten Jugendlichen einiges einfallen lassen. Da gibt es navigierende Schuhe, einen müllfressenden Roboter und lustige Erfindungen wie einen Dialektdetektor, dessen Bayrometer anzeigt, ob da ein echter oder zugezogener Bayer spricht. Einige der jungen Programmierer wollen mit ihren Ideen ihren Schulalltag vereinfachen – für sich, aber auch für ihre Lehrer. Eine Gruppe hat zum Beispiel ein timetable optimization program für Lehrpläne erfunden, eine andere eine Software, die den Notenstand zu jeder Zeit des Schuljahres für Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler transparent macht.

Gemeinsam stellen die Jugendlichen ihre Erfindungen vor, erklären ins Mikro, wie sie es konkret umgesetzt haben und was dabei die größte Herausforderung war. Hinter ihnen liegen drei Tage gemeinsames Programmieren, Diskutieren und Ausprobieren im Berliner Betahaus, das in dieser Zeit an eine Mischung aus Club und Labor erinnerte. Dunkle, bunt ausgeleuchtete Sitzecken zum Chillen, große Treppen mit Sitzkissen und langen Tischen, an denen Jugendliche ihre Köpfe zusammensteckten, über Extensions, MongoDB und Java diskutierten oder gemeinsam vorm Laptop saßen. Direkt nach der Anreise hatten die Jugendlichen in einem Brainstorming Projektideen entwickelt und auf Plakaten präsentiert: Diese Plakate blieben über Nacht hängen und die Jugendlichen konnten sich am nächsten Morgen entscheiden, bei welchem Projekt sie mitmachen möchten.

Echt oder falsch?

Fake News waren das Hauptthema des Hackathons; das hatten die Jugendlichen bei einem Brainstorming des „Jugend hackt“-Netzwerks selbst bestimmt. Immer wieder ging es auch im Begleitprogramm um die zunehmende Schwierigkeit, zu beurteilen, welche Darstellungen im Netz echt oder falsch sind. Mit Referenten von „Frag den Staat“, „Peng! Collective“ und „Amnesty International“ wurde über Fake News und digitale Menschenrechte diskutiert. Es kam dabei zum Beispiel die Forderung vieler Jugendlicher auf, dass Staaten und Institutionen für mehr Transparenz ihre Daten stärker offenlegen müssten. Außerdem gab es 15minütige sogenannte „Lightning Talks“, in denen Referenten per Kurzvortrag in Themen wie Feminismus, Freifunk, gefakte Twitterposts einführten. Dabei wurde immer wieder deutlich: Anstatt nur über das Problem von Fake News zu sprechen wie etwa den Vertrauensverlust gegenüber Politikern und Journalisten, sollte viel stärker über konstruktive Lösungen nachgedacht werden. Und das haben die Jugendlichen auch gleich per Code in die Tat umgesetzt. Es entstand zum Beispiel eine Webseite, die weltweit Server ortet, so dass man jederzeit überprüfen kann, wo die Server der besuchten Webseiten zu Hause sind. Ein anderes Tool soll helfen, Nachrichten auf Echtheit zu überprüfen; man kann jeweils sehen, wie viele Menschen eine News als wahr oder falsch bewertet haben und selber seine Einschätzung abgeben.

Mentoren und Referenten als Vorbilder

Die Schwestern Lydia und Theresa sind schon zum zweiten Mal mit dabei. Sie haben sich mit gefakten Statistiken beschäftigt, vor allem mit der falschen Darstellung von Studien-Ergebnissen in Grafiken. „Wir wollen, dass Jugendliche Statistiken kritisch hinterfragen, vor allem wenn diese für Werbung benutzt werden“, erklärt die 17-jährige Lydia. Ihre Schwester Theresa sagt über den Hackathon: „Während man coded, kann man kreativ sein, und wir bekommen viel Unterstützung. Wir haben gleichzeitig HTML gelernt und über Politik diskutiert, das hat mir sehr gefallen“. Unterstützung bekommen die Jugendlichen von fast 50 Mentorinnen oder Mentoren, die ihnen bei allen Fragen zur Verfügung stehen. „Viele der Jugendlichen reisen allein an. Sie wollen hier Gleichgesinnte treffen, und gleichzeitig finden sie in den Moderatoren und Referenten Role Models. In ihrer Klasse zuhause sind sie oft die Einzigen, die sich fürs Programmieren interessieren“, erklärt Tanja Zagel, Projektleiterin bei der Open Knowledge Foundation, die „Jugend hackt“ ins Leben gerufen hat. „Am besten finde ich das Zusammenprogrammieren und das gegenseitige Helfen, wenn man nicht mehr weiter weiß“, erklärt der 13-jährige Benedikt, der aus Ulm angereist ist.

Während der Abschlusspräsentation sitzt auch der Informatiker Daniel Domscheit-Berg im Publikum, der bis 2010 mit zu den bekanntesten Gesichtern der Enthüllungsplattform „Wikileaks“ gehörte. Der erklärte Fan von „Jugend hackt“ hat hier auch schon als Mentor mitgemacht. „Jugend hackt ist so toll, weil es den Jugendlichen soviel bietet. Sie können sich mit neuen Technologien auseinandersetzen, was total wichtig ist, denn das Programmieren lernen ist zentral für die Selbstbestimmung der Jugendlichen in der Zukunft. Ihnen stehen heute technische Möglichkeiten zur Verfügungen, mit denen sie große Probleme in der Welt wirklich lösen können. Und dabei haben sie auch noch so viel Spaß“. Was Domscheit-Berg dagegen bemängelt, ist die eklatante Versorgungslücke an Schulen, wenn es um digitale Bildung geht. Dem stimmt auch Projektleiterin Tanja Zagel zu: „Die Schulen hängen wahnsinnig hinterher. Viele Lehrer fühlen sich unsicher, weil sie sich mit den technischen Möglichkeiten nicht immer genügend auskennen.“

Dabei wissen auch die Jugendlichen nicht immer, wie es geht. Und das ist auch gut so, denn Ziel der Veranstaltung ist nicht die Erfindung an sich, sondern der Weg dahin, also ausgehend von einem Problem Ideen und Lösungen zu entwickeln. „Wir konnten die technischen Probleme zwar nicht lösen, obwohl wir bis 5 Uhr morgens programmiert haben, aber wir sind der Lösung ziemlich nah gekommen und sind jetzt um einiges schlauer“, erklärt der 17-jährige Jaro, der mit seiner Gruppe eine Vertretungsplansoftware für Lehrer entwickelt hat. Der methodische Ansatz von „Jugend hackt“ ist ein prozessorientierter, es geht immer in erster Linie darum, gemeinsam zu arbeiten, sich zu vernetzen, eigene kreative Ideen eigenständig umzusetzen und das technische Know-how zu erweitern. „Die Jugendlichen können hier eine Menge Selbstwirksamkeit erfahren. Sie können sich Gedanken darüber machen, wie sie die Welt im Großen haben möchten und gleichzeitig daran arbeiten, sie im Kleinen konkret zu gestalten“, erklärt Tanja Zagel. Die Ideen dafür werden nicht vorgegeben, sondern stammen aus der Gedankenwelt der jungen Hacker. Und so entsteht die Lernmotivation aus ihnen selbst heraus. Sie lernen nicht, weil es in einem Lernplan steht, sondern werden kreativ, weil sie Lust darauf haben. Und weil sie mit ihren Erfindungen, die Gesellschaft und ihre Zukunft aktiv mitgestalten können.