Gibt es konkrete Beispiele oder Fragestellungen, die euch immer wieder begegnen?
Orth: Im Schulunterricht werden sehr oft Beleidigungen verwendet, die diskriminierend sind. In Schulklassen wird das benannt und auch bei Argumentationstrainings mit Lehrkräften. Und manche sagen dann: „Und wenn es nur ein Spaß ist, was mache ich dann?“ Bei uns gilt der Leitsatz: Man muss das nicht groß hinterfragen. Da werden diskriminierende Worte verwendet, darauf kann man verweisen, da kann man sich positionieren. Was uns wichtig ist, ist dann aber auf der Empathie fördernden Ebene ein Hinterfragen in die Richtung: Willst du solche Bilder teilen? Wie empfindest du das, wenn diskriminierende Sprache dir gegenüber verwendet wird oder kannst du dir vorstellen, wie es für Betroffene sein könnte? Auch das sollte nicht unbedingt im Raum mit Betroffenen stattfinden, aber ein Hinterfragen auf die Motivebene, warum bist du gerade so wütend, warum verwendest du nicht andere Sprache, Beispiele nennen, Angebote machen – das ist aber eher ein sachtes Beispiel.
Hammerbacher: Ich schließe mich da an.
Frage aus dem Publikum: Ich arbeite auf dem Hambacher Schloss, das auch für rechte Veranstaltungen genutzt wird. Sollte man hingehen und dagegen demonstrieren oder trägt man damit zur Sichtbarkeit und Stärkung bei? Oder bleibt man weg, um währenddessen für Demokratiebildung zu sorgen und daran zu arbeiten?
Orth: Widerständig sein und Widerspruch äußern. Natürlich ist die Demokratieförderung parallel enorm wichtig, aber da werden Menschen eingeladen, die nicht darauf hingewiesen werden, dass das so ein starkes rechtes Milieu ist, in das sie da hineinkommen, wenn keine Gegendemonstration stattfindet. Das Podium, das sich bietet, bietet sich also noch viel mehr, wenn keine Gegenstimme vorhanden ist. Und aus Berichten von Aussteiger*innen aus der rechten Szene weiß man, was wirklich gesessen hat, was immer und immer wieder notwendig war. Um Menschen zum Aussteigen zu bewegen, ist Widerspruch für die Aussagen, die sie tätigen, sehr wichtig.
Frage einer Lehrerin: Wie verhalte ich mich richtig bei menschenfeindlichen Äußerungen von Schülerinnen und Schülern? Meine bisherige Strategie, zum Beispiel bei rassistischen Witzen, ist, die entsprechenden Schülerinnen und Schüler rauszuziehen und klar zu machen, dass es sich um Alltagsrassismus handelt. Aber sie weisen es von sich: „Das war doch nur Spaß! Es wurde doch niemand beleidigt, es ist doch niemand hier, der betroffen ist.“ Wie gehe ich damit um? Wie sensibilisiere ich die Schülerinnen und Schüler?
Hammerbacher: Sie sind auf der richtigen Spur. Sie haben das gehört und sich entschieden: Ich möchte intervenieren, wie und wo kann ich das machen? Dann haben sie entschieden, die Schülerinnen und Schüler nach dem Unterricht anzusprechen. Das ist genau das richtige Vorgehen. Wenn es im Klassenraum vor allen ist, kann man sagen: „Ich bin nicht der Meinung, wir werden das im Unterricht nochmal besprechen.“ Wenn es dann um schwierige Fragen geht, zu denen man sich selbst erstmal informieren will, kann man das vertagen. Man muss aber auch deutlich widersprechen, damit diese Position nicht unwidersprochen so im Raum steht. Schwierige Fälle können auch mit Kolleginnen und Kollegen reflektiert werden. Vielleicht kann auch länger und enger mit den Schülerinnen und Schülern gearbeitet werden: Wer hat einen guten Zugang zu ihnen? Was machen sie denn sonst noch so? Haben sie beispielsweise Aufkleber oder Patches? Es ist also wichtig, sich auch das Umfeld anzugucken.
Orth: Ich würde zustimmen und empfehlen, die Klasse im Blick zu behalten. Ja, es sind vielleicht nur Späße, aber es sind vielleicht auch andere dabei, die das unreflektiert hören, wenn man nur ins Vieraugengespräch geht. Deswegen sollten Sie auch immer vor der Klasse, so oft es möglich ist, als Multiplikator*in Position beziehen. Und wenn es als Spaß abgetan wird, nachschauen, aus welchen Milieus die Schülerinnen und Schüler kommen. Sind es wirklich nur Späße oder werden solche Thesen auch in der Ideologie verfestigt? Man kann auch mal ein Auge zudrücken, aber nicht ohne Position zu beziehen.
Frage einer Schülerin: Wie kann differenziert werden zwischen als Spaß gemeinten Äußerungen in der Schulklasse oder im Freundeskreis, z.B. gegenüber Frauen. Gibt es da eine klare Linie? Kann man sich auch im Freundeskreis dagegen wehren oder wie kann man darauf am besten reagieren?
Orth: Es ist nie nur Spaß, wenn du verletzt bist. Das ist das erste, was wichtig ist. Und wenn du mit den Menschen befreundet bist, dann kannst du auf diese Verletzung hinweisen. Es ist zwar gesellschaftlich anerkannter Humor, es ist aber auch diskriminierend und verletzt Menschen. Und das kann man in diesen Situationen äußern. Dann ist man sehr wahrscheinlich die Spaßbremse, aber in solchen Situationen Gegenstimmen forcieren, sich Unterstützung suchen, Freunde und Freundinnen, die ähnlich denken, hinzuziehen. Wenn irgendwann niemand mehr über den Witz lacht, ist es nicht mehr witzig.
Hammerbacher: Das mit dem Begriff Spaß ist so eine Sache. Der Kern ist die Wahrnehmung des anderen. Ich würde es ansprechen, dass mir das nicht passt. Es kann ja auch sein, dass jemand hier betroffen ist und das noch nie geoutet hat.
Rückfrage aus dem Publikum: An wen kann man sich dann wenden? Wendet man sich da an die Lehrkraft? Vor allem wenn es dann um die Schule geht.
Hammerbacher: Der erste Punkt ist, dass ich in meinem unmittelbaren Umfeld, in der Schule, gucke. Wo gibt es Leute, die mir helfen können? Welche Lehrerinnen oder Lehrer kann ich ansprechen? Gibt es ein Beratungssystem, Ansprechpartner, Mediatoren? Schwierig wird es, wenn die nicht da sind. Dann muss ich eine Ebene höher im Internet gucken. Da gibt es in der Stadt, im Kreis, im Dorf irgendeine Antidiskriminierungsstelle, wo ich mir Hilfe holen kann. Also immer weiter im Sozialraum gucken, erst ganz konkret vor Ort, in der Stadt, im Land, bis hin zur Telefonberatung.
Orth: Ich lasse jetzt mal tief in meine eigene Schulvergangenheit blicken. Für uns war „schwul“ das Synonym für langweilig oder scheiße. Ich habe das auch als negatives Synonym benutzt und ich wurde von einer Freundin darauf angesprochen, dass das nicht gut ist. Und wenn du sagst Freunde, wie tief ist diese freundschaftliche Ebene? Mit welcher Person hast du den engsten Kontakt und kannst vielleicht in einem Vieraugengespräch ansprechen, dass du das nicht gut findest? Das kann sehr viel ausmachen.
Frage eines Schülers: Lehrer hören oft drüber weg, reagieren nicht, nehmen es nicht ernst – unterstützen sie damit, dass Jugendliche das als Spaß empfinden und denken, das sei in Ordnung?
Orth: Ja, ich sehe da die Verantwortung bei allen, die das hören. Vor allem Personen, die sich mit demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Äußerungen auseinandersetzen. Die sollten solche Späße als diskriminierend erkennen können und das benennen. Und das ist in großer Verantwortung bei den Lehrenden und es ist vor allem auch eine große Verantwortung das überall zu erkennen. Es gibt unglaublich viele Merkmale aufgrund derer Menschen diskriminiert werden und da gilt es einfach sich weiter zu schulen. Bis vor ein paar Jahren hat man beispielsweise wenig über Transidentität und Transgeschlechtlichkeit gesprochen. Das kommt langsam ins Bewusstsein und es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und die Aufgabe jeder und jedes einzelnen, sich damit auseinanderzusetzen und das dann auch zu erkennen.
Was gibt es für Möglichkeiten der Prävention statt nur als „Feuerwehr“ zu reagieren?
Hammerbacher: Einen rechtsextremen Vorfall kann es an der besten Schule geben. Wo mehrere hunderte, tausende Menschen lernen, kann man nicht vermeiden, dass so etwas vorkommt. Es gibt keine Schule ohne Rassismus. Man möchte gerne Schule ohne Rassismus sein, das ist das Ziel, aber es wird nie eine Schule ohne Rassismus geben. Das ist der eine Punkt. Wir arbeiten viel in der Schulentwicklung und wir haben in einem Gesamtkonzept neun Bereiche definiert, die eine Schule über Jahre verfolgen soll. Das geht vom Unterricht, über Schülervertretung und Unterrichtsinhalte, bis hin zur Zusammenarbeit mit Dritten. Damit stellt sich die Schule so gut präventiv auf, wie sie nur kann. Hier sieht man eine Veränderung: Viele Schulen haben den Auftrag angenommen, Demokratie- und Menschenrechtsbildung zu machen und machen das als Grundkonzept. Das dauert aber auch ein bisschen und ist ein laufender Prozess. Und dann kann man auch richtig und adäquat und schlau reagieren, wenn etwas passiert.
Orth: Ein humanistisches Weltbild stärken. Fakten und Moral, Emotion und Sachlichkeit – auf welcher Ebene argumentieren wir. Ich finde, eine humanistische Weltsicht, eine humanistische Vorstellung von Gesellschaft sollte unser Fakt sein und daran müssen wir arbeiten. Und das ist ein Auftrag an Schulen, der ein positiv bestärkender Punkt sein kann – und dann kann man auf dieses humanistische Weltbild verweisen und muss sich gar nicht auf die Argumentation von menschenverachtenden Einstellungen einlassen. Wir können die Diskussion dann mit positiven Bildern besetzen.
Lehrerin aus dem Publikum: Inwieweit kann ich Schülerinnen und Schüler mit rassistischen Tendenzen, die sie aus dem Elternhaus mitbekommen, begleiten? Sie müssen ja auch in ihrem Umfeld klarkommen.
Orth: Sie können nicht mit nach Hause gehen. Sie können den Kindern und Jugendlichen nur ein Angebot machen, das sie dann mit nach Hause nehmen können. Wünschenswert ist, dass sie im Unterricht bestärkt werden, das weiter zu tun.
Hammerbacher: Wenn im Elternhaus ein demokratiefeindlicher Erziehungsstil, demokratiefeindliche Haltungen vertreten werden, sind die meistens relativ stark. Man kann in der Schule viel machen, aber das Elternhaus und die eigene Sozialisation zuhause spielen eine sehr wichtige Rolle für die Kinder und Jugendlichen. In der Schule kann man eigentlich nur einen Gegenpunkt machen und den Schülerinnen und Schülern alternative Wege aufzeigen, die sie dann auch gehen können, wenn es dann soweit ist. Und ich glaube, das machen Sie – Sie beziehen Position, Sie beziehen Stellung und eröffnen alternative Argumentationsmuster, vielleicht auch alternative Haltungen. Und das ist genau die richtige Variante. Sie können nicht die Eltern ersetzen und das Kind wird nicht aus dem Elternhaus genommen. Mehr können Sie als Lehrerin nicht machen, da sind Sie auf dem richtigen Weg. Und da muss man auch sagen: Das sind meine Grenzen und daran kann ich nichts ändern.
Von Seiten der Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler zeigte sich im Laufe der Veranstaltung großer Bedarf nach Hilfestellungen, wie mit demokratiefeindlichen Äußerungen in der Schule und im Freundeskreis umgegangen werden kann. Die Referierenden zeigten einige Handlungsstrategien auf: klar Stellung beziehen, Haltung zeigen und Empathie wecken. Dies kann vor der Klasse oder im Vieraugengespräch geschehen. Gerade im privaten Umfeld ist es ebenso wichtig, die Beziehungsebene mitzudenken und zu nutzen, genau wie die eigenen Grenzen zu erkennen und einzuhalten.