Jugendliche sitzen in einem Arbeitskreis zusammen
Foto: DKJS

Warum Partizipationsprozesse viel Zeit und Mut zum Scheitern brauchen

Matthias Sondermann ist Schulsozialarbeiter an der Luisenschule Bielefeld. Im Rahmen von OPENION begleitete er an seiner Schule zusammen mit der Sportjugend Bielefeld das Projekt „Demokratie – von Anfang an“. Im Interview mit OPENION berichtet er über seine Erfahrungen mit Partizipationsprozessen an Schulen und erklärt, worauf es dabei ankommt.

 

OPENION:

Wo und wie ermöglichen Sie Partizipationsprozesse an Ihrer Schule?

Matthias Sondermann:

An unserer Schule gibt es für alle Klassenstufen eine AG, in der die Schülerinnen und Schüler Partizipation erfahren können. Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klassen können sich dort zunächst im Schulumfeld engagieren: Sie organisieren beispielsweise einen Waffelverkauf und bestimmen dann eigenständig, wohin die eingenommenen Gelder gespendet werden oder ob sie im Schulkontext eingesetzt werden sollen. In Klasse 7 und 8 widmet sich die AG verstärkt der Frage: Wie können wir unser Schulleben verbessern? In den Klassen 9 und 10 erfolgt anschließend der Blick über den Tellerrand mit der Frage: Was können wir in unserem Quartier und darüber hinaus bewirken?
Wir Lehrkräfte bieten dafür nur den Raum, an der Planung sind wir nicht beteiligt. Die Schülerinnen und Schüler, die die AG wählen, wissen von Anfang an, dass sie es sind, die die Themen bestimmen werden. So kommen ganz unterschiedliche Aktivitäten zustande, je nachdem, was den Schülerinnen und Schülern gerade wichtig ist.

OPENION:

Welche Voraussetzungen müssen von schulischer Seite erfüllt sein, um zu gewährleisten, dass die Schülerinnen und Schüler dann auch mitmachen?

Matthias Sondermann:

Die AG ist bei uns ein Angebot im Wahlpflichtband. So wird eine Verbindlichkeit hergestellt. Dabei haben wir festgestellt, dass es ganz wichtig ist, die Schülerinnen und Schüler selbst den zeitlichen Rahmen bestimmen zu lassen. Manche entscheiden sich für kürzere wöchentliche Treffen, andere treffen sich nur alle vier Wochen, dafür länger am Stück. Die Schule darf da nicht zu starr sein, sondern muss die Freiheiten geben, die gebraucht werden.
Damit sich die Schülerinnen und Schüler langfristig engagieren, ist es außerdem unerlässlich, dass sie ernst genommen werden. Für die Motivation der Kinder und Jugendlichen wäre es fatal, wenn sie gleich zu Beginn die Erfahrung machen, dass sie zwar gerne Waffeln verkaufen können, in der Schule aber ansonsten nicht mitreden oder entscheiden dürfen.

OPENION:

Was macht aus Ihrer Sicht gelungene Partizipation aus?

Matthias Sondermann:

Partizipation im Sinne von selbst machen und selbst bestimmen ist etwas, das gelernt werden muss. Es ist schwierig, sich einzubringen, gerade in politischen Dingen. Unsere Schülerinnen und Schüler lernen das schrittweise. Wenn sie dann in der 9. und 10. Klasse sind, sind sie in der Lage, ihre eigenen Themen und Vorgehensweise zu bestimmen.
Für meine Rolle bedeutet das, dass ich mich zurücknehme und nicht eingreife, auch wenn ich gelegentlich nicht einverstanden bin oder andere Herangehensweisen wählen würde. Für die Schülerinnen und Schüler ist es wichtig zu sehen, dass sie den gesamten Prozess eigenständig steuern können.

OPENION:

Was kann Partizipation Ihrer Meinung nach an Schulen bewirken?

Matthias Sondermann:

Wenn Offenheit gegenüber partizipativen Prozessen besteht, kann an Schulen einiges bewegt werden. Diese Offenheit braucht es aber nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern, sondern im gesamten Kollegium und auch seitens der Schulleitung. Als es an unserer Schule beispielsweise um die Neugestaltung der Handyregelung ging, haben sich fast alle Klassen an der Diskussion beteiligt. Da gab es erst einmal keine Dinge, die nicht gesagt werden durften: Vom kompletten Handyverbot bis hin zur Handynutzung in allen Lebensbereichen waren alle Positionen vertreten. Die finale Regelung entstand so aus einem offenen und fairen Aushandlungsprozess. Unsere Hausordnung ist auch so ein Beispiel: Sie wurde von Schülerinnen und Schülern geschrieben und von Lehrkräften verifiziert. Unsere Erfahrung ist: Wenn viele mit an Bord sind und an einem Strang ziehen, kann vieles erreicht werden.

OPENION:

Welche Herausforderungen bestehen aus Ihrer Sicht in der Umsetzung von Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen?

Matthias Sondermann:

Zeit ist ein wesentlicher Faktor. Als ich angefangen habe, musste ich schnell lernen, dass partizipative Prozesse sehr langwierig sind und dass es wichtig ist, Schülerinnen und Schülern einen langen Atem mitzugeben. Wir haben an der Schule diese eine Pflichtstunde, die würde aber sicher nicht ausreichen. Trotzdem müssen die Kinder und Jugendlichen auch genügend Freiräume für andere Freizeitaktivitäten wie die Klavierstunde oder den Besuch im Sportverein behalten. Finanzielle Mittel sind auch ein Punkt, vor allem, wenn es um Ideen geht, die über den Schulkosmos hinausgehen. Dann fehlt den Schülerinnen und Schülern wieder die Zeit, diese Mittel zu akquirieren. Es wäre einfacher, wenn ihnen von vornherein Gelder zur Verfügung stehen würden. Wenn es um die Umsetzung von Projektideen außerhalb der Schule geht, ist auch die Kommunikation mit Vertreterinnen und Vertretern aus Politik und Verwaltung eine Herausforderung.

OPENION:

Wie gehen Sie mit solchen Herausforderungen um?

Matthias Sondermann:

Ich finde, ein wesentlicher Punkt von Partizipation und von Engagement ist auch, dass es durchaus möglich ist, zu scheitern. Der Umgang mit Misserfolgen und das Verarbeiten von Rückschlägen ist Teil des Prozesses und dementsprechend bin ich entspannt, egal wie es läuft. Ich glaube, ich habe noch kein Projekt begleitet, das ganz geradlinig verlief. Ein Beispiel: Die Schülerinnen und Schüler haben sich für einen Zebrastreifen vor dem Schuleingang eingesetzt, jedoch ohne Erfolg: Die Autos fahren weiter ungebremst. Trotzdem sind die Schülerinnen und Schüler, die das Projekt angegangen sind, nicht verzweifelt. Sie haben die Gegenargumente anerkannt und ihre Niederlage akzeptiert, gleichzeitig aber auch festgestellt, dass sie ernst genommen werden von Politikerinnen und Politikern und etwas bewegen können. Jetzt wenden sie sich neuen Projekten zu.