Demokratische Schul- und Unterrichtsentwicklung ist laut KMK Querschnittsaufgabe
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Kommentar von Dr. Jan Hofmann (StS a.D.) zur KMK-Empfehlung zur Demokratiebildung

Wie kam es zu der neuen Empfehlung der KMK?

Die Schule ist der Ort, der alle Kinder und Jugendlichen erreicht und an dem Demokratie als Lebens-, Gesellschaft- und Herrschaftsform vermittelt und erlebt werden kann. Diese relativ triviale Aussage wurde selten theoretisch und praktisch auf ihre Richtigkeit überprüft. Ein Modellprojekt von Bund und Ländern - das letzte bundesdeutsche Bund-Länder-Modellprogramm der dann aufgelösten BLK - „Demokratie lernen und leben“, das von 2002 bis 2007 in 13 Bundesländern durchgeführt wurde, stellte sich dieser Aufgabe und sorgte für fachliche und politische Aufmerksamkeit. Zwei Jahre danach, im Jahre 2009 nahm die KMK die wichtigsten Ergebnisse dieses Projektes in seiner Empfehlung zur „Stärkung des Demokratielernens“ in sein Portfolio auf.

Seit dieser Zeit hat sich die Welt rasant verändert. So wird in den letzten Jahren intensiv darüber diskutiert, was Menschen für das Leben in der Demokratie, einer von Digitalisierung, Globalisierung und Ökonomisierung geprägten Welt eigentlich lernen müssen. Erschwerend kommt hinzu, dass junge Menschen auf eine Zukunft vorbereitet werden sollen, von der niemand wirklich weiß, wie sie aussehen wird. Ein zeitgemäßes Bildungssystem muss daher Inhalte, Methoden und Ziele von Bildung den jeweils aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechend immer wieder neu anpassen und flexibel auf unterschiedliche Standortbedingungen reagieren, ohne den Bildungsauftrag aus den Augen zu verlieren. Dabei geht es nicht nur um die Anhäufung von fachspezifischem Wissen, sondern auch um die Befähigung sich selbstwirksam und verantwortlich als Teil einer pluralistisch demokratischen Gesellschaft zu erleben.

Populisten auf der ganzen Welt versuchen mit scheinbar einfachen Lösungen entlang binärer Schwarz-Weiß-Oppositionen verunsicherte Menschen in ihren Bann zu ziehen – und haben dabei offensichtlich zunehmend Erfolg. Aber auf komplexe Fragen gibt es keine einfachen Antworten, sondern nur den „mühevollen“ Weg einer diskursiv angelegten Bildung, die auf Mündigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Empathie ausgelegt ist.

All das hat mich im Frühjahr 2017 veranlasst, der damaligen KMK Präsidentin Susanne Eisenmann vorzuschlagen, die Demokratie -Empfehlung von 2009 in eine zeitgemäße Fassung zu bringen. Dies ist durch eine Arbeitsgruppe, in einer für die KMK unglaublich raschen Zeit, vom Frühjahr 2017 bis Sommer 2018, geleistet worden.

Wie ist die Empfehlung (vor dem Hintergrund aktueller Debatten) zu bewerten?

Die neue Empfehlung greift alle wichtigen Impulse des Zeitgeists auf – die Herausforderungen an die Schule insgesamt, die Notwendigkeit den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken und die Chancen und Risiken, die die Digitalisierung mit sich bringt. Um also die „Generation Smartphone“ in ihrer Entwicklung zu unterstützen, muss ein modernes Bildungsverständnis etabliert werden, das den Zusammenhang von demokratischer Handlungskompetenz und digitaler Mündigkeit in den Blick nimmt.

Demokratische Schul- und Unterrichtsentwicklung wird als Querschnittsaufgabe beschrieben. Insoweit ist sie eine Selbstverständigung der Länder über schulische Bildung und Erziehung zum Thema Demokratie. Für alle an Schule beteiligten Gruppen (Eltern, Lehrkräfte, Schüler, Leitungs-, Lenkungs-, Unterstützungs- und Aufsichtspersonal) gibt die Empfehlung einen starken Rückenhalt und eröffnet Freiräume für die Diskussion im Spannungsfeld von Indoktrinationsverbot und erwünschter persönlichen Positionslampe und Engagement des Personals. Die AfD z.B. benutzt den Beutelsbacher Konsens zum Indoktrinationsverbot zielgerichtet als Begründung für ihre, in einzelnen Ländern geschalteten Denunziationsportale. Dazu müssen sich die Länder auf der Grundlage der Empfehlung positionieren.

Natürlich ist ein Konsenspapier für 16 Bundesländer immer moderat formuliert und versucht Zuspitzungen zu vermeiden.

Zum Lernen von Demokratie gibt es in der Schule von heute eine Reihe von Verfahren bei denen demokratische Handlungskompetenzen grundlegend gefördert werden. Hierbei sollen Selbstkonzepte der Kinder und Jugendliche gestärkt, Perspektivwechsel gefördert, Kritikfähigkeit geschult und insbesondere Selbstwirksamkeitserfahrungen in sozialen Umgebungen mit der Erfahrung von Autonomie, Kompetenz und sozialer Anerkennung verbunden werden.

Was muss nun passieren, dass die Empfehlungen in der Praxis Anwendung finden?

Eine Empfehlung ist eine Empfehlung ist eine Empfehlung. Niemand ist daran gebunden oder wird gar zur Verantwortung gezogen, wenn er sie ignoriert. Deshalb bedarf es Initiativen aus allen Teilen der Gesellschaft dieser Empfehlung zu folgen. Die Lehrerbildung in all ihren Phasen ist genauso angesprochen, wie die vielfältigen Unterstützungssysteme. Rahmenlehrpläne und Handreichungen müssen auf ihre zeitgemäße Tauglichkeit überprüft werden, Wettbewerbe und bestehende Netzwerke (Europaschulen, Schule ohne Rassismus, MINT Schulen, Demokratisch Handeln …) sollten ihre Rituale und Kommunikationsformen überprüfen und im Geiste der Empfehlung modernisieren. Und auch die wissenschaftliche Community ist gehalten, Aspekte der Demokratiebildung und Schulentwicklung durch geeignete Maßnahmen zu fördern. Dem BMBF und den großen Wissenschaftsgemeinschaften kommt dabei eine besondere Verantwortung zu.

Einer der zentralsten Impulse dieser Empfehlung geht allerdings auch in die Zivilgesellschaft und die vielfältigen Initiativen, die zwischen Schulen und außerschulischen Partnern angesiedelt sind.

Hier kommt unter anderem das vom BMFSFJ geförderte DKJS-Projekt OPENION – Bildung für eine starke Demokratie ins Spiel. In seinem Netzwerk werden bundesweit über 200 Projektverbünde bestehend aus Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Partnern durch Projektmittel, umfangreiche Qualifizierungs- und Vernetzungsangebote sowie durch eine kontinuierliche Begleitung in allen Projektphasen dabei unterstützt eine zeitgemäße Demokratiebildung zu erproben.  

Über die Praxisebene hinaus leistet OPENION in regelmäßig stattfindenden Länderforen einen wichtigen Beitrag zur Vernetzung der operativen Ebene der Kultus- und Sozial bzw. Jugendministerien, hier steht u.a. auch die Umsetzung der KMK Empfehlung in den Ländern auf der Agenda. Eine Weiterentwicklung dieser Ansätze bietet großes Potential, insbesondere mit der Perspektive Anknüpfungspunkte für weitere Zielgruppen zu schaffen.