Demokratiewerkstatt „Jugend.Werte.Demokratie“
Bild: DKJS/graphicrecording.cool

Respekt ja, wählen nein

Von meinem Vater bis zu meiner kleinen Schwester – meine Familie ist heilig, weil ich ohne sie nicht wäre.“ Wenn die teilnehmenden Jugendlichen erzählen, was ihnen wichtig ist, stehen vertrauensvolle Beziehungen, gute Freundschaften, Gesundheit und eine Welt ohne Konflikte ganz oben. Was es dafür braucht, benennen sie ebenso eindeutig wie einstimmig: Respekt. Ein Wert, der sich wie ein roter Faden durch die vier Demokratiewerkstätten mit Jugendlichen zwischen 13 und 14 Jahren an der Gemeinschaftsschule Kastanienallee in Halle (Saale), der Grund- und Mittelschule im niederbayerischen Ergolding sowie dem Kinder- und Jugendtreff U27 in Burg, Sachsen-Anhalt, zieht. „Man bekommt von klein auf beigebracht, dass man Respekt gegenüber Lehrern und Eltern zeigen soll“, sagt ein:e Schüler:in. Für die Jugendlichen in den Veranstaltungen ist dies mehr als eine Floskel – fast alle haben eine konkrete Situation dazu im Kopf: Beispielsweise zeige man Achtung gegenüber Erwachsenen, indem man „Sie“ sagt, freundlich ist oder in der Bahn einen Platz anbietet. Unter Freund:innen bedeutet Respekt, „sich nicht zu beleidigen, auch wenn es nur Spaß ist“ und bei der Familie bedingungslose Loyalität: „Wenn jemand meine Eltern beleidigt, wird es ernst.“ Die Familie ist den jungen Menschen „heilig“ und neben der Schule der Ort, der ihnen zentrale Werte vermittelt. Allerdings, betont ein Mädchen, „muss man auch selbst herausfinden, welche Regeln einem wichtig sind und welche nicht. Dafür muss man mit anderen Menschen reden.

Unterstützung zur Reflexion und Diskussion

Genau das tun die Jugendlichen in den digitalen Demokratiewerkstätten „Jugend.Werte.Demokratie“, die die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) im Rahmen des Kompetenznetzwerks „Demokratiebildung im Jugendalter“ veranstaltet: Sie werden sich der eigenen Werte bewusst und diskutieren mit Gleichaltrigen die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. Veranstaltet werden die Workshops von der DKJS und der Akademie für philosophische Bildung und WerteDialog.

Unter dem Motto „Es gibt kein richtig und kein falsch!“ motivieren die Organisator:innen die Jugendlichen dazu, zu philosophieren und ihre persönlichen Ansichten frei zu äußern. Dass dies manchen auch schwerfällt, liegt weniger an den Sprachbarrieren, welche die Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund gemeinsam überwinden, als vielmehr an der Herausforderung, die passenden Worte für abstrakte Gedanken zu finden. Die Moderator:innen unterstützen sie mithilfe verschiedener Arbeitsmethoden und Gesprächsimpulse. So kommen die Teilnehmenden über eine fiktive Geschichte in eine Diskussion über (un-)moralisches Verhalten, gestalten im Rahmen eines Gedankenexperiments das gesellschaftliche Zusammenleben auf einer utopischen Insel und bringen ihre Wertevorstellungen spielerisch in Blitzlichtrunden, Chatumfragen oder Listen zum Ausdruck. Dabei beeinflussen nicht nur die Methoden, sondern auch das Umfeld der Workshops den Tenor der Gespräche: Jene, die im Klassenverband teilnehmen, befassen sich intensiver mit Themen wie Gerechtigkeit, Krieg und Frieden als die Jugendlichen in der Freizeiteinrichtung. Dort scheint die lockere Atmosphäre dazu beizutragen, dass schwere Themen eher ausgeklammert werden. Ist die anfängliche Zurückhaltung jedoch erst einmal überwunden, zeigen die Teilnehmenden aller Veranstaltungen große Reflexionsbereitschaft.

Jugendliche wünschen sich Bildung, Solidarität und Gerechtigkeit

Als sie im Rahmen des Gedankenexperiments überlegen, welche Werte für eine ideale Welt wichtig sind, nennen die Jugendlichen neben Liebe, Freundschaft und Respekt auch „gute Bildung“ oder „Schule ab vier Jahren“. Auf die Frage, warum das Lernen so wichtig sei, heißt es: „Wir wollen einen guten Abschluss und einen guten Job.“ und „Wir wollen lernen, wie man einen Mietvertrag macht.“ Die Grundbedürfnisse der Jugendlichen sind, von „Hütten, um zu schlafen“, über den Führerschein ab 16 Jahren, „damit man verschiedene Länder sehen kann“, bis hin zu „jeden Tag beten“, recht unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen hingegen der Wunsch nach Gemeinschaft und Solidarität. Das untermauern zahlreiche Vorschläge wie „kein Geld, weil man Sachen tauschen kann“, „alle müssen teilen“ und „gegenseitige Unterstützung“. Der Zusammenhalt soll durch Rituale wie „Feste“, „gemeinsam frühstücken“ oder auch „Minecraft spielen“ gestärkt werden.

Bei der Überlegung, welche Machtstrukturen ein friedliches Zusammenleben fördern könnten, setzen viele mit „alle haben eine Stimme“ und „alle dürfen ihre Meinung äußern“ auf demokratische Strukturen. Einige könnten sich allerdings auch vorstellen, dass ein:e unangefochtene:r „Chef:in“ für Respekt und Ordnung sorgen könnte. Abgesehen davon wünschten sich alle einen gerechteren Politikbetrieb: „Keine Korruption“ und „keine Vetternwirtschaft“ fordern sie, „wir haben ja aktuell gesehen, dass das nicht funktioniert.“ Interessant ist, dass die Jugendlichen nicht nur Kritik äußern, sondern auch konkrete Vorschläge machen, wie sich Ungerechtigkeit vermeiden ließe: Etwa mit „zwei Präsident:innen… damit sie sich unterhalten können, was zu tun ist“ oder „Politik:erinnen, die nicht an einem reichen Ort leben, sondern normal. Damit sie wissen, wie wir leben und denken.“ Wobei Gerechtigkeit nicht dasselbe sei wie Gleichheit, betont ein:e Jugendliche:r mithilfe einer bekannten Metapher: „Man kann nicht einem Elefanten, einem Affen, einem Vogel und einem Fisch sagen: ‚Klettert mal alle den Baum hoch‘.

Die meisten Jugendlichen glauben nicht, dass sie mehr Einfluss hätten, wenn sie wählen gehen oder gewählt werden dürften. „Lieber was im eigenen Umkreis bewirken“ und „mit Leuten reden, die respektlos sind“, finden sie. Das Credo lautet: „Wenn man so handelt, wie man es sich wünscht, kann man vielleicht andere dafür gewinnen“.

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Ihre Lebenswirklichkeit empfinden die Jugendlichen als weniger ideal als ihre utopischen Gesellschaftsentwürfe, die sie kurz zuvor entwickelten: „Es ist viel anders, es gibt Rassismus, es werden Länder bekriegt“, sagt ein:e Teilnehmer:in.

Sie ist nicht die Einzige, die den realen Politikbetrieb als ungerecht und streitbelastet umschreibt, obwohl sich junge Menschen doch „Frieden, einfach nur Frieden“ sowie Toleranz, im Sinne von „alle dürfen alle lieben“, wünschten. Ein:e 13-Jährige:r moniert, dass Menschen zu sehr nach Geschlecht, Sexualität oder Herkunft beurteilt würden: „Es wird gesagt, dass alle gleich behandelt werden, aber es ist nicht so. Es ist eher von Vorteil für die, die das sagen.“ Die Jugendlichen kritisieren, dass soziale Unterschiede, beispielsweise zwischen Arm und Reich, zu respektlosem Verhalten gegenüber Schwächeren führten. Die Teilnehmenden wünschen sich von ihren Lehrkräften und anderen Erwachsenen ein faires Miteinander auf Augenhöhe. Sie möchten, dass sie gehört und bei Entscheidungen, die sie betreffen, mit einbezogen werden. Als konkretes Beispiel benennen sie dafür die aktuelle Pandemie: „Bei den Corona-Regeln wurden wir nicht gefragt, obwohl die Jüngeren viel mehr gefordert waren.

Diskussion als Weg zu gegenseitigem Verständnis

Die Jugendlichen erkennen auch, dass die Kontroverse – sofern diese nicht in einen Konflikt umschlägt – ein gangbarer Weg zum gegenseitigen Verständnis sein kann: „Streiten ist nicht immer schlecht und hilft, etwas zu diskutieren und besser zu verstehen“, sagt ein:e Jugendliche:r. Ein:e andere:r fügt hinzu: „Man kann sogar gute Freunde werden. Wir kannten jeweils unsere Geschichte nicht und haben uns durch den Streit mehr kennengelernt.

So zeigten sich die Teilnehmenden in den Demokratiewerkstätten bereit, gewohnte Denkpfade zu verlassen und unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Das digitale, jugendgerechte Format mit seinen kreativen Methoden erweist sich dabei als hilfreich für die individuelle Meinungsbildung sowie für die Reflexion in der Gruppe. Die jungen Menschen erleben nicht nur, dass ihre persönlichen Erfahrungen und Gedanken wertvoll sind und geteilt werden dürfen, sondern stärken in den Diskussionen auch ihre Demokratiekompetenzen.

Angesichts der vielen von Respekt geprägten Wertvorstellungen und Gedanken zu gesellschaftlichen Sachverhalten bleibt zu hoffen, dass die Jugendlichen der Workshops ihre Ansichten auch weiterhin entwickeln und teilen.

 

Text: Carolin Grehl
Grafiken: DKJS/graphicrecording.cool